Ich kann mich noch gut an meinen ersten Besuch auf der Baselworld erinnern. Es ist Jahre her, aber mir blieb der Mund offenstehen. Ich kannte Fach- und Publikumsmessen damals bereits seit Jahren – doch das, was Basel da bietet, schlägt dem Fass den Boden aus. Keine Messestände, sondern Pavillons. Mehr Hostessen mit mehr Behang als Christbäume im hiesigen Kaufhof zur Weihnachtszeit. Uhren, wohin das Auge blickt – und natürlich Innovationen. Neue Modelle, tolle Modelle, Preislisten, bei denen sich mir der Magen umdreht. Mann fühlt sich klein, selbst wenn man am Arm eine IWC oder eine Tudor trägt – denn ist diese schon ein paar Jährchen alt, gehört sie gefühlt schon zu den Billigheimern.
Top gedresst und manchmal komplett overgedresste Männer und Frauen durchströmen die Hallen. Mobiltelefone und Gesprächspartner werden wahllos niedergebrüllt oder im Feuerwerk der Begrüßungsküsschen links, rechts, links im Manöver besiegt.
Jeder will Manufaktur sein
Ja, der Trend ist ungebrochen. Die Firmen geben sich Mühe, in irgendeiner Form das Etikett der Manufaktur aufkleben zu können. Schnell wird aus dem Radsatz eines 7750 mit anderem Brückendesign ein Dreizeiger-Manufakturwerk, oder ein geschrumpfter Werksaufbau des Unitas 6498 wird zum gefeierten neuen Produkt. Was ist eigentlich plötzlich so schmutzig am Einkauf von Fremdwerken aus den Häusern Sellita oder ETA? Einzig die restriktive Politik der Familie Hayek, die den Ruf der ETA-Werke auf Kosten der kleinen Einschaler rehabilitiert?
Die ETA selber ist auch ein lustig-listiges Beispiel. Bei der damaligen Präsentation der Powermatic 80-Werke war jeder verwundert, der die ETA-Architektur kennt. Ein abgespecktes 2824, bzw. ob der Taktfrequenz ein 2840 mit kleinerem Federkern und längerer, weil dünnerer, Zugfeder. 80 Stunden werden damit bequem erreicht – die auf 21.600 A/h getakteten alten Werke erreichten auch schon knapp 60 Stunden. Ist das innovativ?
Natürlich gibt es auch da Ausnahmen. Manch ein Unternehmen streckt sich zur Decke, um Kunst und Unabhängigkeit umzusetzen. Ob Chopard, Schwarz Etienne oder H. Moser & Cie. – Unternehmen wie diese zeigen, was Uhrmacher können.
Bronze und lustige andere Materialien
Früher hat man sich über Kratzer auf der Uhr geärgert – heute werden Modelle aus einem Metall beworben, die schon alt aussehen, wenn der Käufer den Laden verlässt. Bronze ist in, und jeder macht in Bronze. Selbst vor einem Unternehmen wie Rolex macht das nicht halt, wie die Unternehmenstochter Tudor zeigt: Jetzt darf auch ein Tudor-Käufer eine schnellalternde Uhr erwerben. Das diese Modelle wohl in drei Jahren mit der patinierten Gammeloptik in der Schublade enden, ist der Uhrenindustrie egal. Hauptsache, erstmal so etwas wie eine Innovation – und Abverkauf. Der stockt nämlich zur Zeit in der Welt. Egal, ob Russland oder China, oder die Reisegruppen unter striktem Regiment, die durch Frankfurts Edeljuweliere geschleift werden: Es wird weniger Geld umgesetzt. Parallel dazu sind Juweliere so innovativ wie ein Tante Emma-Laden aus den späten Siebzigern – Kundenbindung ist ein Fremdwort in der Branche.
Zum Ende der Materialschlacht tritt Hublot auf den Plan. Jene Marke, die unter dem Zaubermeister Biver den Preis pro Uhr vervielfachte und dabei auch den Ausstoß um etliche hundert Prozent nach oben trieb, bietet nun einen Chronographen in einem Gehäuse aus Saphir. Die Uhr mit der Anmutung einer durchsichtigen Plastik-Swatch aus den angehenden 80er Jahren kostet ein immenses Geld, bietet wenig wirklich neues, ist ein Modeartikel und dürfte den Kontakt mit einem Türrahmen aus Metall bereits übelnehmen. Keramik und auch Saphirglas sind recht spröde – auch mit Beimischung ist das Material in Kürze Staub, wenn der richtige Gegner kommt.
Keramik hat allerdings Schule gemacht – was mal bei Rado ein Exot war, klemmt heute in jeder besseren Taucheruhr als Lünetteneinlage – bei Rolex natürlich mit Platinfüllung und „Cerachrom“ benannt. Ein Ring als Innovation des Jahrzehnts – betrachtet man die technische Evolution einer Submariner parallel zu dem Anstieg des Kaufpreises, da stellt sich die Frage: Wo ist der Witz?
Vintage heißt Victory
Auch ungebrochen ist der Trend zu Uhren, die wesentlich ältere Modelle einer Marke zitieren. In moderner Größe schwelgen diese Vintage-Teile in den Meriten von gestern, um Umsätze von morgen zu erzielen. Einmal, zweimal, vielleicht auch dreimal macht das Spaß und bringt tolle Uhren hervor. Sich das aber bei jeder Marke anzusehen, wird irgendwann langweilig. Aber wie ist das mit Trends: Sie kommen, und sie gehen.
Markenflut und Preisflüge
Jeder kann Uhren bauen – diese Devise scheinen manche Hersteller der nötigen Einzelteile auszugeben. Daher kommen auch 2016 neue Uhrenmarken auf den Markt, die niemand kennt. Der Markt ist gesättigt – oder etwa nicht? Die Microbrands – die sich aber fast ausnahmslos nicht im Basler Zirkus beteiligen – zeigen, das der Uhrenverbraucher wohl doch nach Alternativen zu seinen Luxus-Massenartikeln sucht und diese in kleinen Marken findet. Wenig Ausstoß, ein Chef zum anfassen. Das ist auch der Punkt, wo man auf der Messe aufatmen kann: Es gibt sie noch. Ob die Mitglieder der AHCI, die unabhängigen Uhrmacher, wo Menschen wie Rainer Nienaber einfach tolle Uhren bauen. Oder Sinn Spezialuhren, wo völlig normale Menschen mit dem Herz auf dem rechten Fleck Uhren bauen, und Kunden und Medien gleichermaßen bis spät in den Abend betreuen. Auch eine Marke wie Chopard, wo alleine das Namensschild die am Empfang arbeitende Tochter des Chefs als Mitglied der Inhaberfamilie enttarnt. Davor ziehe ich meinen Hut, liebe Familie Scheufele.
Zu den Preisen habe ich schon ein paar Worte geschrieben – wenn ich mein Archiv durchblättere und sehe alte Preislisten – alt meint hier zehn Jahre – dann wundere ich mich. Die Stahlpreise müssen immens angezogen haben, und Automatisierung scheint Produkte eher zu verteuern denn preiswerter zu machen.
Am Rande: Teures Baguette
Wer die Schweiz kennt, ist Kummer bei den Preisen gewöhnt. Basel zu Zeiten der Messe setzt dem aber noch die Krone auf. Ein Brötchen mit Belag für zehn Franken, eine Bratwurst in der Semmel für 20 Franken – Getränke nicht eingerechnet. Ein Hotel für 800 Franken mit Komfort für maximal 80 Franken, auch das ist kein Problem. Die Stadt wird zum Goldgräbergebiet, wenn aus aller Welt die Uhrenbranche in die Stadt am Rhein zieht.
Und am Ende: Zurück auf Anfang
Für die kommenden Monate sehe ich eine Bereinigung des Marktes. Einige Hersteller bauen Personal in kleinen Dosen ab, andere stehen zum Verkauf. Die Lagerregale biegen sich unter der Last von unverkauften Uhren – doch die Meldungen sind durchweg positiv. Aber mal im Ernst: Wer schreibt denn nach einer Messe, das man Angst vor den kommenden Monaten hat? Niemand…..
Und daher kommt es auch für mich, wie es kommen musste. Die Baselworld 2017 steht schon im Kalender.