Irgendwie scheint es doch bei den Top-Managern der Uhrenindustrie angekommen zu sein: Die Preisspirale dreht sich nicht automatisch höher, und manch Kunde legt mehr Wert auf Induvidualität zu einem passenden Preis, als zu Luxus-Uniformismus im Preissegment über 5.000 Euro.
Auf die Spitze treibt es nun die Richemont-Gruppe und stellt einen eigenen Microbrand vor, der ausschließlich über das Internet zu haben sein wird. „Baume“ heißt die Marke.
Neben dem Preis zeichnen sich die Uhren durch Nachhaltigkeit aus – die Zielgruppe veganer und glutenfrei lebender Fitbit-Träger wird also adressiert. Die Uhren selber werden als „Unisex-Marke für eine bessere Zukunft“ präsentiert – oder auf Englisch bei der Präsentation in Kalifornien: “genderless brand designed for a better tomorrow”. Die Materielien sind receycled oder upcycled – also veredelte Materialien, die schon ein Leben vorher hatten. Es gibt kein Leder, keine Edelmetalle, keine Edelsteine.
Die Optik ist dabei erstaunlich gelungen. Die Modelle kommen mit Bändern aus Kork oder Baumwolle daher, die Werke sind Quartz oder Automatik. Und eben hier kommt der Haken: Wer für den Preis von 960 Euro ein Swiss Made-Kaliber erwartet, wird bitter enttäuscht. Stattdessen tickt in der ICONIC mit 41 Millimetern Durchmesser ein Miyota 82D7.
Das Uhrwerk ist Made in Japan, kostet im Einkauf um die 50 US-Dollar. In der Baume wird es so verwendet, wie es kommt – keine zusätzliche Dekoration ist zu sehen. Immerhin ist zu hoffen, das die großzügigen Gangwertvorgaben des Herstellers von – 20 bis +40 Sekunden deutlich unterboten werden – sonst kommt der modische Hipster am Ende zu früh oder schlimmer, zu spät! Das Gehäuse wiederum besteht aus recyceltem Aluminium, ein durchaus hervorzuhebendes Merkmal.
Das zweite Modell, die Custom, kann vom Kunden selber zusammengestellt werden. Der Baukasten umfasst mehrere Zifferblätter, Gehäuse und Bänder. Neben verschiedenen Durchmessern, 35 oder 41 Millimeter, kann der Kunden zwischen einer Dreizeiger-Uhr, einer Mondphase oder Kalenderfunktionen wählen. Mehr als 2.000 verschiedene Möglichkeiten soll es laut Baume geben. Die Bänder bestehen auch hier aus Kork, Leinen, Baumwolle oder Alcantara – alles natürlich.
Um den Umweltgedanken weiter auf die Spitze zu treiben, arbeitet Baume zusammen mit der Organisation Waste Free Oceans. Diese Gruppierung sammelt Müll aus den Weltmeeren und ermöglicht die Weiterverarbeitung zu Kunststoffprodukten, die später auch für die Armbänder der Baume benutzt werden. So wird manches Armband mehr Geschichte haben als der Träger der Uhr selber – immerhin eine schöne Geschichte beim Stammtisch derer, die „was mit Medien“ oder ähnlich sexy Jobs machen.
Pünktlich zum Launch der Marke in Kalifornien räumten daher auch Helfer den Strand von Malibu von überflüssigem Unrat. Zwischen 18 und 24 Monate versenkten die Produktmanager in diese hübschen Geschichten und das Design sowie die Markenphilosophie.
Der Ansatz ist unbestritten gut, und aus Sicht des Marketings erzählt sich diese Geschichte leicht. Für knapp 1.000 Euro wäre allerdings ein Uhrwerk, das nicht zu den Wegwerfkalibern zählt, eine allemal bessere Wahl gewesen. Und die Auswahl an Technologie im eigenen Konzern ist nicht klein – ein umweltfreundliches Automatikwerk aus recyceltem Messing würde die Geschichte nicht nur abrunden, sondern auch den Preis rechtfertigen. Das wird den Fitbit- und Apple-Watch-Trägern aber sicher recht egal sein, wenn sie sich in Zukunft eine nachhaltige Baume an den Arm schnallen. Für alle, die ein wenig hinter die Kulissen schauen, ist Baume nur ein neuer Brand, der in Ausstattung und Wirkung nicht mehr zu bieten hat als die zahllosen Kickstarter-Marken. Zufall oder nicht: Die Mehrheit derer nutzt ebenfalls die günstigen Werke von Miyota… Ein Schelm, wer dabei Böses denkt! Im Endeffekt wird aber erst eine persönliche Begutachtung zeigen, was die Baume wirklich bietet!