Vor 20 Jahren war bei Plagiaten von Luxusuhren noch alleine das Design entscheidend. Die Optik sollte stimmen, aber weder die Materialien noch die Uhrwerke wurden entsprechend den originalen Uhren angepasst. Heute ist Edelstahl längst Standard in der Fälschungsindustrie, und bei den Werken zogen schnell die Nachbauten der gängigen, nicht mehr durch Patente geschützten, ETA-Kaliber ein. Neben den Kalibern ETA 2824-2, 2892, die Unitas-Baureihe 6497 und 6498 wird auch das ETA 7750 in den verschiedenen Varianten nachgebaut. Mit den Kalibern von Rolex gingen die Fabriken in Asien dazu über, auch Manufakturwerke nachzubauen. Die digitale Technologie ist dabei hilfreich – Bauteile können über einen 3D-Scan digitalisiert und dann einfach per CNC-Fräse und andere Anlagen repliziert werden. Mit mehreren Varianten des Rolex Kaliber 3135 gibt es schon seit Jahren – und sogar auf der Auktionsplattform eBay – gefälschte Luxusuhrwerke. Einen kleinen Donnerschlag gab das nachgebaute Rolex Kaliber 4130 aus dem Chronographen Daytona, dessen optische und technische Identität bei nahe 90 Prozent des Originals liegt und auch in der Lage ist, Profis im Uhrengeschäft zu täuschen.
Die jüngsten Entwicklungen aus China zeigen aber, mit welcher Vehemenz die Fabriken an neuen Uhrwerken arbeiten, um die Nähe der Fälschung zum Original noch weiter zu verstärken. Seit Frühjahr 2020 ist bekannt, dass die Manufaktur Jaeger-LeCoultre Opfer dieser Methoden geworden ist. Ein Nachbau des Jaeger-Kalibers 925-2 – ein hundertprozentiges Manufakturprodukt – ist mittlerweile in den Webshops der gängigen Plagiatehändler angekommen. Auf den ersten Blick ist das Uhrwerk baugleich, es ist unter anderem in der Kalenderuhr Master Ultra Thin Moon verbaut. Bisher gab es diese Uhr als Fälschung mit einem Uhrwerk auf der Basis des Miyota 9015, mit einem in China entwickelten Modul für die Mondphase sowie das Zeigerdatum. Ebenfalls zum Einsatz kommt das neue Werk in der Version 938-1 für das Modell Master Ultra Thin Réserve de Marche. Hier wurde ein Modul zur Anzeige der Gangreserve, ein Zeigerdatum sowie eine kleine Sekunden verbaut. Verantwortlich für den Nachbau ist die AZ Factory, deren geographische Lage allerdings ebenso unbekannt ist wie ihr Management.
Mit dem neuen Uhrwerk – dem Klon des Kalibers 925 – müssen Uhrenkenner bei diesem Modell schon sehr genau hinsehen, um die Unterschiede noch erkennen zu können. Ohne ein Vergleichsmodell, das sicher aus der Schweizer Fertigung in Le Sentier kommt, ist die Aufdeckung des Plagiats kaum möglich. Neben der korrekten Taktfrequenz von 28.800 A/h sind auch alle anderen Merkmale des Uhrwerks übernommen, auch die verschiedenen Zierschliffe auf den Brücken und Kloben. Einzig an der Feinregulierung scheitern die chinesischen Hersteller noch – wie bei den Nachbauten der Rolex-Werke 3135 und 4130 auch. Sämtliche Luxushersteller in diesem Bereich arbeiten mit einer rückerlosen Regulierung, die über Gewichtsschrauben auf dem Unruhreif arbeitet. Die Unruhspirale ist hier daher nur am Endpunkt mit dem Spiralklötzchenträger verbunden. Dieser Mechanismus ist offenbar im Nachbau zu aufwendig, daher verfügt auch das gefälschte Jaeger-LeCoultre-Werk über einen separaten Rücker und einen Spiralklötzchenträger. Dieser Bereich sollte also beim Kauf einer solchen Uhr von einem Nicht-Konzessionär genau geprüft werden.
Insgesamt ist zu erwarten, dass in den kommenden Monaten noch weitere gefälschte Uhrwerke unterschiedlicher Hersteller auf den Markt kommen werden. Die Identifikation der gefälschten Luxusuhren wird damit immer schwerer und erhöht die Gefahr, im Graumarkt einer solchen Uhr auf den Leim zu gehen. Hersteller wie Rolex sind mittlerweile dazu übergegangen, Konzessionäre und Uhrmacher entsprechend zu schulen. Mit dabei sind immer ein paar Beispieluhren aus der Replika-Szene, an denen die Fachkräfte ihre Expertise ausbauen können.