Die Mille Miglia steht für Historie, Leidenschaft, klassische Automobile und die Stimmung eines autobegeisterten Landes. Und für Zeitmessung – denn das Rennen geht gegen die Uhr. Anders zwar als in den Jahren zwischen 1927 und 1957 – aber immer noch spornt die Mille Miglia den sportlichen Ehrgeiz an.
Museen weltweit würden sich die Finger lecken nach dieser Ansammlung von Fahrzeugen – fast 500 waren im Jahr 2015 am Start. Seltene Ferrari, Maserati oder Mercedes-Benz reihen sich durch die Gassen ebenso wie ein Fiat Topolino, die seltenen OM oder Fahrzeuge von Bugatti, Bentley und viele weitere historische Karossen. Die Luft schmeckt nach Benzin, manch einer ist noch mit Wartungsarbeiten auf den letzten Drücker beschäftigt. Ein altes Auto braucht Liebe, und einiges an Aufmerksamkeit. Seit mehr als 25 Jahren zählt der Schweizer Uhrenhersteller Chopard zu den Sponsoren, fast ebenso lang sitzt Karl-Friedrich Scheufele selber hinter dem Steuer eines historischen Fahrzeuges im Teilnehmerfeld.
Jedes Jahr fährt Scheufele im Wechsel mit seiner Frau oder der belgischen Rennlegende Jacky Ickx. Über vier Tage geht es südwärts nach Rom, von dort aus durch die Toskana zurück in Italiens Norden.
Seit 1988 verpackt Chopard die Stimmung und den Mythos auch in Armbanduhren. Jedes Team erhält eine aus der eigens zum Rennen limitierten Serie. 2015 ist erstmals ein Uhrwerk aus der eigenen Manufaktur in Fleurier in das Gehäuse eingeschalt.
Chopard wie auch das Rennevent haben sich in 25 Jahren entwickelt – wie haben Sie persönlich die Mille Miglia über 25 Jahre erlebt?
Die Mille Miglia hat sich sehr verändert. 1987 habe ich mein erstes Rennen als proaktiver Zuschauer in einem VW Passat miterlebt – ich habe mir damals geschworen, hier einmal als Mitfahrer dabei zu sein. Ich hatte weder ein passendes Auto, aber sah die Nähe zwischen unseren Uhren und dem Rennsport, der damals wie heute mit großer Leidenschaft zwischen Brescia, Rom und dem Zieleinlauf in Brescia betrieben wurde. 1988 waren wir bereits Sponsor, und ich hatte noch immer kein passendes Auto. 1989 durfte ich dann antreten – mit einem Mercedes 300 SL Flügeltürer. Das Fahrzeug befindet sich seit damals in Familienbesitz und ist auch in diesem Jahr mitgefahren, pilotiert von Albert Carreras, dem Sohn von Jose Carreras. Damals war das eine sehr kameradschaftliche Veranstaltung – um die 100 Fahrzeuge waren dabei, die Zuschauermengen überschaubar. Jetzt sind 430 Fahrzeuge dabei, und noch wesentlich mehr Fans begleiten das Rennen mit ihren Fahrzeugen als Trittbrettfahrer. Das erzeugt gefährliche Situationen, weil oft die alten Fahrzeuge überschätzt werden. Dabei ist alleine der Bremsweg schon deutlich schlechter als bei modernen Fahrzeugen. In der Gesamtmischung der offiziellen Teilnehmer gibt es alle Typen – Enthusiasten, die auch selber Hand anlegen – ebenso wie Fahrer, die mit Mechanikerteam anreisen und kaum selber tanken können. Mehrheitlich sind alle Teams aber mit Leib und Seele der Mille Miglia verschrieben.
Sie fahren die Mille Miglia im Wechsel mit Jacky Ickx und Ihrer Frau. Wie kam diese sehr persönliche Verbindung zu Jacky zustande?
Ich traf Jacky Ickx das erste Mal am Nürburgring bei einer Oldtimer-Veranstaltung – das war 1988. Wir kamen ins Gespräch und er erzählte mir von einem Schmuckstück, das er seiner Frau geschenkt hatte und eine Reparatur benötigte. Ich bat ihn, das Teil zu uns zu senden, unsere Goldschmiede konnten das Problem schnell lösen. Später holte er das reparierte Juwel bei mir in Genf persönlich ab. Wir hatten damals gerade das passende Mille Miglia-Auto, den Flügeltürer, gefunden – und ich hatte mir überlegt, Jacky Ickx zu fragen, ob wir gemeinsam fahren. Das habe ich getan – und war erstaunt, dass er sofort ja sagte. Noch überraschter war ich dann, das er nicht steuern wollte. Neben einem professionellen Rennfahrer sitzen und das Auto fahren – das ist schlimmer als eine Fahrprüfung. Als er dann aber auf der zweiten Etappe auf dem Weg nach Rom auf dem Beifahrersitz einnickte – da dachte ich, so schlimm kann ich dann kaum fahren. Mittlerweile fährt auch er manchmal.
Jacky Ickx: Karl-Friedrich und ich sind über die Jahre sehr enge Freunde geworden. Davon findet man nicht viele im Leben.
Enzo Ferrari nannte es „das schönste Rennen der Welt“. Wie nennt Karl-Friedrich Scheufele die Mille Miglia?
Dieser Ausspruch von Enzo Ferrari trifft immer noch zu – das Land, die Menschen, die Fahrzeuge: die gesamte Atmosphäre. Eine Veranstaltung wie diese kann man nirgendwo anders so abhalten oder rekonstruieren. Die Leidenschaft ist enorm, bei Ortsdurchfahrten am Nachmittag oder um zwei Uhr nachts, bei Trockenheit oder Regen. Diese Seite der Mille Miglia macht das Rennen aus – in anderen Ländern würden Dörfer sich eher gegen hunderte alte Autos sperren – die Bewohner würden die Teams wohl kaum so enthusiastisch empfangen. Während der Mille Miglia haben wir schon oft erlebt, dass Roadbook und Wegweiser nicht übereinstimmten: In dem Fall haben Dörfer die Richtungspfeile umgesetzt, damit die ganze Renngruppe dort durch den Ort fährt.
Sie fahren seit 1989 jedes Jahr selber mit – Ihr Leben wird aber von eiligen Geschäften und vor allem von Uhren bestimmt. Bleibt die Zeit trotzdem während des Rennens stehen?
Die Mille Miglia ist für mich jedes Jahr ein Ausflug in der Zeit, und tatsächlich bleibt die Zeit stehen. Wenn man die Mille Miglia fährt, denkt man an nichts anderes. Es ist wie eine Zeitreise – der Bruch des alltäglichen und die Bedienung eines Fahrzeuges, das alles abverlangt. Dabei tritt das Geschäft in den Hintergrund, die Konzentration auf die Strecke, das Fahrzeug und das pure Leben sorgen für komplett andere Eindrücke. Selbst im normalen Alltag, wenn ich bei schönem Wetter mit einem der Oldtimer in mein Büro fahre, zehre ich den ganzen Tag von diesem Erlebnis. Leider kommt es aus Zeitgründen viel zu selten vor.
Bei den Rennteams dominieren heute USB-Steckdose, iPads und Smartphones zur Zeitnahme. Steht dahinter der Ehrgeiz, gut abschneiden zu wollen, oder eher die Bequemlichkeit von neuer Technik im alten Auto?
Das ist ein wunder Punkt des Reglements. Wenn wir als Sponsor da ein Mitbestimmungsrecht hätten, würde ich diese elektronischen Hilfsmittel verbieten. Leider sieht das bisherige Reglement für diese Fälle keine Grundlage vor. Und einige Teilnehmer fahren hier auf Sieg und jagen jede Hundertstelsekunde. Nicht, dass den Fahrern der Vorsprung durch präziseste Zeitmessung oder Navigation nicht zu gönnen wäre – diese Form passt aber meiner Meinung nach nicht zu einem Rennen mit historischen Fahrzeugen. Es wäre schön, mechanische Chronographen in allen Fahrzeugen zu verwenden. Dann würden alle Autos auf dem gleichen Niveau starten – zumindest für die bordeigene Zeitnahme.
Chopard hat sich zu einer der bedeutenden Schweizer Manufakturen mit eigener Fertigung entwickelt – viele Jahre, bevor andere auch an diesen Schritt dachten. Welche Gründe haben Sie damals zu den enormen Investitionen bewogen?
Ganz im Stillen haben wir 1994 mit den Planungen zur Manufaktur begonnen. 1997 konnten wir die erste Uhr mit dem L.U.C.-Kaliber – benannt nach Lucien Ulysse Chopard – vorstellen. Damals musste ich im Familienkreis große Überzeugungsarbeit leisten, der Schritt wahr mehr ein „wollen“ als ein „müssen“. Die Herrenuhren von Chopard sollten interessanter werden, die Glaubwürdigkeit der Marke noch weiter steigen. Heute streben plötzlich einige Marken aufgrund der dunklen Wolken am Monopolhimmel nach dieser Unabhängigkeit. Allerdings haben sich diese Unternehmen, die nahezu alle als reine Marketingmaschinen arbeiten, jahrelang nicht wesentlich um ein eigenes Fortkommen bemüht. Diesen Druck haben wir nicht – unsere Fertigungstiefe ist enorm hoch.
Und mit Fleurier Ebauches können wir auch größere Mengen produzieren, womit sich die Unabhängigkeit auf alle Produktlinien ausweiten lässt. Auch das war ein großer Schritt, der sich aber bezahlt macht.
Es geht die Legende um, weder Ihre Ehefrau oder Ihre Mutter wüssten, was Sie und Ihr Vater in den verschiedenen Garagen stehen haben…..
Das stimmt auch – mein Vater und ich sprechen da nicht direkt drüber. Dabei geht es weniger darum, ein Vetorecht zu unterdrücken – die Autos sind eine Leidenschaft, unsere Spielzeuge. Das halten wir für uns. Zur Beruhigung meines Gewissens habe ich vor Jahren meiner Frau einen historischen Mini Cooper S geschenkt. Das ist eine kleine Rakete, die viel Fahrspaß macht. Allerdings höre ich mittlerweile oft die Frage meiner Frau, wann sie denn mit dem Wagen fahren dürfe – denn sehr oft fahre ich den Cooper, der durch das geringe Gewicht sehr viel Fahrspaß bereitet.
Gibt es ein Auto, das für Karl-Friedrich Scheufele ein ganz besonderes ist – der erste Oldtimer, oder das Alltagsfahrzeug aus der Kindheit?
Ohne zu zögern – das ist der Porsche 356 Speedster von 1954, eines der ersten Fahrzeuge, die gebaut wurden. Von diesem Auto habe ich am längsten geträumt, ehe es in der Garage stand. Bei diesem Fahrzeug habe ich bei der Zerlegung vor der Restaurierung mitgearbeitet. Ich bin kein Mechaniker, aber ich wollte verstehen, wie die einzelnen Komponenten arbeiten. Dieses Fahrzeug habe ich seit über 25 Jahren und ich werde es nicht mehr hergeben. Allerdings bin ich mit diesem Wagen noch nie die Mille Miglia gefahren.
Herzlichen Dank für das Gespräch!