Review & Test

Massen- oder Manufakturwerk?

Als die Uhrenproduktion noch in kleinen Ateliers durchgeführt wurde und Uhren sowieso nur an der Kette getragen wurden – damals konnte sich jede Fabrik Manufaktur nennen. Die Werke wurden von Hand gefertigt, jedes Rad, jeder Trieb – eine CNC-gesteuerte Maschine oder CAD-Konstruktionen, die direkt an eine passende Fräse gesendet werden konnte waren noch nicht einmal in den Träumen der damaligen Uhrmacher zu finden.

Manufaktur – mit der Hand zusammenfügen, von Händen geschaffen – damit schmücken sich bis in die Neuzeit Hersteller wie Jaeger LeCoultre, Audemars Piguet, Patek Philippe oder Rolex.

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Ein Kaliber von Hersteller Patek Philippe. Das Perfektions-Niveau ist enorm hoch, die Fertigungstiefe ebenso. ©Patek Philippe

Zerbrochene Romantik

Mit den Händen passiert zwar immer noch sehr viel, unter dem Strich aber hat die automatisierte Fertigung bei Manufakturen einen großen Teil der Produktion eingenommen. Die Uhrwerke werden mit einem Computer berechnet, und sind wesentlich schneller umzusetzen als je zuvor. Simulationen und Machbarkeitsanalysen nehmen viel Tüftelei vorweg und erleichtern dem Hersteller die Entwicklung und Serienreife eines Uhrwerks.

Doch in kaum einer anderen Branche steht der Manufakturbegriff für dieses Maß an Noblesse, Luxus und handwerklicher Perfektion. Vor allem in den letzten 15 Jahren haben die Hersteller einen Run vor allem auf eigene Uhrwerke entwickelt. Ob nun mit der Hand oder mit einer Maschine – eigene Werke bestätigen stets den Status als etablierter Hersteller.

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Chopard ist mit eigenen Werken eine junge Manufaktur – erst seit Ende der 90er nutzt der Hersteller Entwicklungen der eigenen Ingenieure und Uhrmacher. Hochwertige Qualität, und ein enormes Maß an Unabhängigkeit zeichnen die Uhren aus. Das abgebildete Werk findet in der Mille Miglia GTS Verwendung. ©Chopard

Die Kluft zwischen den Herstellern

Zwischen Manufaktur und Massenwerk gibt es daher eine scheinbar breite Kluft. Zum einen haben über Jahrzehnte auch die Fachmedien dafür gesorgt, dass ein Werk vom Zulieferer ETA als sehr gewöhnlicher Standard positioniert wurde. Zum anderen sind die Kosten für einen Werkezukauf wesentlich niedriger als eine eigene Entwicklung – das weiß auch der Uhrenkäufer. Ein Hersteller, der seine Uhrwerke zukauft, wird daher häufig als „Einschaler“ bezeichnet – eine negative Konnotation. Dabei belegt die Vergangenheit, dass auch Marken wie Rolex lange Jahrzehnte zu dieser Gruppe gehörten. Mangels eines eigenen Chronographen nutzte Rolex in der Daytona ein zugekauftes Werk von Zenith. Der 1993 wiedergeborene Hersteller Panerai nutzte für die Luminor im typischen Kissengehäuse ein einfaches und ehemals für Taschenuhren konstruiertes Handaufzugwerk. Weitab von einem Luxusprodukt sind die Unitas-Kaliber eher treue und zuverlässige Traktoren.

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Kaum zu erkennen: Dieses Uhrwerk ist in der Basis die Konstruktion des Valjoux 7750 – allerdings nahezu unkenntlich. Nach dem Auslauf der Patente bauen zahlreiche Hersteller in der Schweiz und weltweit das Kaliber nach. Hier ist eine Version von LaJoux-Perret abgebildet, statt mit der typischen Kulissenschaltung mit einem Schaltrad zur Betätigung der Chronographensteuerung. ©LaJoux-Perret

Massenware hat Vorteile: Neben dem Preis eines Massenwerkes ist die Technologie vor allem bewährt. Alle Schwachpunkte sind bekannt, zahlreiche Uhrmacher können die Werke reparieren und überholen. Dennoch fehlt der Geschmack der Manufaktur, das besondere – scheinbar. Allerdings ist der Begriff der Manufaktur auch nicht geschützt. Während ein Chronometer immer von einer Prüfstelle wie der COSC oder der Sternwarte Glashütte zertifiziert wird, kann jeder Hersteller den Begriff Manufaktur für sich selbst definieren. So ist auch Rolex, deren Fertigungstiefe nahe an den magischen 100 Prozent liegt, bei Bauteilen wie Unruhspiralen auf Zulieferbetriebe angewiesen. Andere Hersteller nutzen einen vorhandenen Rädersatz eines bestehenden Uhrwerkes und konstruieren nur die Brücken- und Platinenform um. Optisch ist das Werk damit einmalig, technisch jedoch nicht.

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Mühle bearbeitet die zugelieferten Werke und erfüllt damit die strengen Glashütter Regeln. Damit verdient das Werk eine eigene Kalibernummer, ist aber noch kein Manufakturprodukt. Links im Bild: Die bearbeitete Grundplatte des Valjoux 7750, Version Mühle, in der Mitte der Mühle-Unruhkloben für den Chronographen. Rechts im Bild das von Mühle veränderte ETA 2824-2 mit Spechthals-Feinregulierung, gebläuten Rädern und einem eigenen Rotor. ©Mühle Glashütte

So nutzte ein mondäner Hersteller von Sportuhren einen solchen Technologietransfer: TAG Heuer übernahm ein Uhrwerk von Seiko, auch der Werkehersteller Soprod hat bei seinem A10 in Japan eingekauft.

Ein Beispiel, wie man ein Uhrwerk nahezu zur Unkenntlichkeit umbauen kann – und damit wesentlich hochwertiger gestaltet – ist die Schweizer Marke IWC, die im Chronograph 3714 der Portugieser-Reihe ein aufwendig umgebautes ETA-Valjoux 7750 nutzen. Durch die tiefgreifenden Eingriffe ist es zum Manufakturwerk geworden, wenn auch die Basisteile aus den Werkautomaten der ETA in Grenchen stammen. Oftmals bauen auch Spezialateliers wie LaJoux-Perret oder Dubois Depráz im Auftrag spezielle und reservierte Uhrwerke, die von den Verwendern als Manufakturwerk eingesetzt werden.

Es gibt also – unsanft heruntergebrochen und etwas humorig betrachtet – drei Kategorien von Uhrenherstellern:

  1.  Ehrliche Einschaler: Bei diesen Marken werden Werke von Zulieferbetrieben wie der ETA, Selitta, Soprod oder LaJoux-Perret verwendet. Auch Miyota oder Seiko Instruments kommen hier zum Einsatz. Die Preislage beginnt bei wenigen hundert Euro und ist nach oben kaum begrenzt. Denn Achtung: Auch ein Werk von der Stange kann hochwertig veredelt sein und damit auch teuer im Einkauf.
  2. Weniger ehrliche Einschaler: Hier wird der Eindruck einer Manufaktur erweckt, doch das Uhrwerk wird von einem Zulieferbetrieb produziert. Eine eigene Kalibernummer und eine stark veränderte Optik untermauern den Eindruck eines eigenen Werkes. Das ist im Grunde nichts schlechtes – lieber gut zugekauft, als schlecht selber gebaut. Das gilt auch für Uhrwerke, deren Rädersatz bereits existiert, nur die Erscheinungsform der Brücken und Kloben wird verändert.
  3. Die Manufaktur: Hier wird selbst entwickelt und selbst gebaut. Einzelne Teile oder Baugruppen wie die Zugfeder oder die Unruhspirale dürfen gerne zugeliefert sein. Doch das Werk wurde inhouse entwickelt und wird auch durch eigene Uhrmacher gebaut. Nur wenige Manufakturen arbeiten nach diesem sehr strikten Grundsatz. Dementsprechend hoch sind die Einstiegspreise in diese besondere Kunst, auch wenn maschinelle Fertigung einen Großteil der Produktion übernommen hat.

Die bekannten Manufakturen wie Patek Philippe oder Lange & Söhne treiben für die optische und technische Aufbereitung der Manufakturprodukte einen immensen Aufwand. Anglierte Kanten, aufwendige Schliffe, hochwertig bearbeitet Kleinteile – feinste Qualität auch dort, wo kein Uhrenbesitzer normal hinsieht, sondern nur ein Uhrmacher beim Service. Manche Hersteller haben in den vergangenen Jahren auch eine Wendung weg vom Einschaler und hin zur Manufaktur genommen. Breitling ist ein Beispiel: Das Kaliber B01 und alle Verwandten entstammen der hauseigenen Entwicklung und Produktion.

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Auch die Details sind so hochwertig wie der erste Anschein: Patek Philippe. ©Patek Philippe

Manufaktur ab 100 Euro

Die Entscheidung für oder gegen ein Manufakturprodukt ist eine emotionale Frage. Zudem muss auch der Rest einer Uhr betrachtet werden. Wie ist das Gehäuse gefertigt, wie das Zifferblatt. Was zeigen die Zeiger, das Armband oder die Schließen. Die Liebe zum Bau einer Uhr endet oder beginnt nicht am Werk. Es ist ein Gesamtkunstwerk, in dem die noble Herkunft aus einer Manufaktur mehr Emotionen weckt. In der Präzision sind die Unterschiede gering, und auch im Wiederverkauf spielen viele andere Faktoren ebenfalls eine Rolle. Besonders überraschend sind dabei Manufakturen, die jeden Preis nach unten brechen. Jede Seiko Automatic, jede Citizen mit hauseigenem Selbstaufzugs-Kaliber ist ein Manufakturprodukt. Es steht allerdings in keiner Werbeanzeige.

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Seiko 5 Sports: Je nach Modell beginnt eine Seiko 5 bei 119 Euro Kaufpreis. Dafür gibt es die günstigste Manufakturuhr weltweit – mit einer Fertigungstiefe von 100 Prozent. ©Seiko Time Corp.

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Die Fortentwicklung der Seiko-Werke: Seit 50 Jahren verändern sich die Uhrwerke, die aktuellen Versionen 4R36 verfügen auch über den lange vermissten Handaufzug und einen Sekundenstopp. ©Seiko Time Corp.

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3 Kommentare

  1. Was mir bei solchen Manufaktur-Statements immer wieder negativ auffällt ist, dass der Fokus nur auf dem Uhrwerk liegt. Dabei ist Gehäuse- und Bandtechnik oftmals ein weitaus komplexeres Gebiet, zumindest wenn völlig neue Materialien oder Anwendungen benutzt oder verlangt werden. Da kostet schon die Forschung ein Vielfaches der altbekannten Werkskonstruktion.

    1. Mein Fokus, vor allem auch bei Tests, liegt nicht nur auf dem Uhrwerk. Das Gehäuse und Band, Finish, Design und Material, sind ebenso wichtig. Allerdings ist im modernen Gehäusebau auch längst die digtale Technik im Einsatz, die Romantik einer Drehbank und Handarbeit ist damit auch dahin und es kann erwartet werden, das die Qualität stets außerordentlich ist. Der Großteil aller Gehäuse war zudem zu einem Punkt im Leben auch in Asien…. Völlig neue Materialien dienen heute leider allzu oft dem Marketing, nicht dem technischen Fortschritt – siehe den aktuellen Beitrag zu Uhren aus Keramik….

    2. Nicht so ganz: Seiko kauft als einzigstes Teil die Lagersteine extern ein. Aber so schnell wie die Japaner sind, kann sich das auch schon geändert haben.

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