Review & Test

Review: Kieser Design tragwerk.T

Zuerst ein klares Nein. Einfach so.

Nein, ein Microbrand ist die Uhrenmarke Kieser Design nicht. Eine Uhrenmarke eigentlich auch nicht. Ein Uhrenhersteller, unabhängig und innovativ? Schon eher. Ich hoffe, der Bericht im Folgenden bringt etwas Licht ins Dunkle – und macht klar, warum Kieser Design kein Microbrand ist, sondern ein unabhängiger Hersteller mit richtig Dampf auf dem Kessel.

Das Wabenmuster wird per Hand gemacht, ebenso wie die Indexe und Zeiger – und der Rest der Uhr. © Thomas Gronenthal

Matthias Kieser holt mich an der Eingangstür zur eher unscheinbaren Etage eines Frankfurter Bürogebäudes ab. Ein kurzes Stück den Flur entlang, und mir entgleiten etwas die Gesichtszüge. Statt einem Büro finde ich eine komplett ausgestatte Werkstatt vor – und mittendrin eine junge Goldschmiedin, die gerade – und das war nicht für meinen Besuch vorbereitet – die einzelnen Indexe aus Titan für die tragwerk.T bearbeitet. Mit einem Lächeln zeigt sie mir die einzelnen Indexe, die hier per Hand ihre finale Form und Oberfläche bekommen. Auch die Leuchtmasse wird hier aufgetragen. Warum? Nun, zum einen sind Zifferblatthersteller nicht erpicht darauf, aus dem extrem zähen Titanium Grade 5 auch noch Zifferblätter, Indexe und Zeiger zu machen, und zum anderen hat Matthias Kieser den Anspruch, für seine „perfekte Uhr“ alles selber zu machen. Denn das war das Ziel: Eine Uhr bauen, die seinen strengen Anforderungen genügt – und eben bisher bei keinem anderen Hersteller zu kaufen war.

Das Skelett in der Seitenansicht. © Thomas Gronenthal

Exoskelett aus Titan

Das Material der Wahl ist Titan, und daraus ist konsequent die komplette Uhr gefertigt. Alleine das Zifferblatt ist ein enormer Aufwand: Das Muster wird gefräst, von unten werden die Zifferblattfüße ebenso aus dem Material gearbeitet. Löten oder Schweißen fällt als übliche Technik zur Befestigung der dünnen Stifte aus, also wird der Aufwand dem Wunsch angepasst.

Die einzelnen Bauteile warten auf ihre Endfertigung. © Morten Paulsen

Das Gehäuse besteht aus mehreren Teilen und ist statisch dem Konzept aus der Natur nachempfunden – dem Körperbau einer Libelle. Der obere und untere Rahmen aus Titan werden ebenso wie das Mittelteil von Kieser gefertigt, kein Teil des Gehäuses wird fremdgefertigt oder gar aus dem Ausland geliefert. Das Mittelteil umfasst und schützt das Uhrwerk und kann in Wunschfarbe anodisiert werden. Dabei kommt der wesentliche Vorteil des Titan-Exoskeletts – neben der außergewöhnlichen Optik – zum Vorschein: Das Skelett umfasst und schützt das Mittelteil vor Kratzern oder Abrieb an der anodisierten Farbe.

Auch die Embleme auf dem Zifferblatt werden einzeln gefertigt, anodisiert, bedruckt und befestigt. © Thomas Gronenthal

Neben dem Design, das komplett durchdacht ist, kommt so dem Gehäuse auch eine funktionale Philosophie zu. Die Verarbeitung ist exzellent, alle Oberflächen sind hochwertig bearbeitet. Das gilt auch für das Zifferblatt, dass sich im aufwendigen Herstellungsprozessen immer leicht verformt und anschließend mit viel Gefühl wieder in die passende flache Form gebracht wird.

Die Schließe wird wie das Gehäuse gefräst und gestrahlt – ebenfalls in der Werkstatt von Matthias Kieser. © Thomas Gronenthal

Made in Frankfurt

Tatsächlich besteht also bisher eine Fertigungstiefe – „Made in Frankfurt“ – von exakt 100 Prozent, und ich stehe bei meinem Besuch mittendrin. Und es sind die Kleinigkeiten, die besonders zu gefallen wissen: Die Gläser werden normal mit dünnen Dichtringen in das Gehäuse gepresst. Eine feine Linie ist optisch erkennbar – bei normalen Uhren. Nicht bei der tragwerk.T von Kieser: Eine feine Nut im Gehäusekorpus nimmt die Dichtung auf, und macht sie optisch quasi unsichtbar. Es ist kaum davon auszugehen, dass mehr als einer von 100 Uhrenkäufern das sehen wird – aber es zeigt, mit welcher Sorgfalt der Macher an sein Werk geht. Das Gehäuse wird mit Verschraubungen mit winzigen, anodisierten Sechskantschrauben geschlossen und dichtet die Uhr bis auf eine Tiefe von 100 Metern ab. Die Krone aus Titan ist verschraubt, und das Gewinde spricht wieder einmal für Matthias Kieser und sein Team: Es arbeitet wie gebuttert.

Trotz der Verschraubungen ist das Band mit einem Federsteg befestigt und macht so den Bandwechsel leicht. © Thomas Gronenthal

Apropos Werk: Es ist ein automatisches Uhrwerk an Bord, schwarz beschichtet und mit einem ebenfalls in Frankfurt gebauten Rotor aufgewertet. Es ist ein Sellita SW200, das Pendant zum ETA 2824-2. Passt das aber zum Handarbeits-Gehäuse und dem Anspruch der Kieser tragwerk.T? Ja, es passt. Zum einen hat das Uhrwerk eine hervorragende Qualität, zum anderen ist der Drang zum Manufakturwerk oder dem üblichen Schneller-Weiter-Höher einfach überflüssig. Das Uhrwerk ist wertig, bietet Spitzen-Gangwerte und kann einfach gewartet werden. Nicht umsonst setzen so viele Uhrenhersteller auf die Werkefamilie aus der Schweiz, die seit den 1970ern Jahren Standards setzt. Das vorliegende Exemplar der Testuhr würde zudem problemlos ein Zertifikat als Chronometer bekommen – aber brauchen tut man es nicht. Die Gangwerte sind exzellent, die Amplitude bei Vollaufzug liegt um 300 Grad, die Abweichung bei kaum drei Sekunden am Tag.

Der Rotor ist ein Kunstwerk für sich. © Thomas Gronenthal

Eine Besonderheit ist der Rotor, der eine eigene Konstruktion darstellt: Die Speichen sind wieder aus der Natur entnommen – Stichwort Libelle – und die äußere Schwungmasse ist in massivem Gold. So ist der Rotor optimal für den kraftvollen Aufzug des Uhrwerks angepasst – und optisch eine Augenweide. Zudem nutzt der die Fläche des Werkhalteringes aus und lässt so durch die skelettierten Speichen mehr Sicht auf das Uhrwerk zu.

Das Armband ist von innen mit Leder gefüttert. © Thomas Gronenthal

Traumuhr konfigurieren

Die Technik des Anodisierens lässt eine Vielzahl an farblichen Kombinationen zu. Das kann sich der Uhrenkäufer bei Kieser Design online aussuchen und konfigurieren, bis hin zum passend abgesteppten Armband. Zur Auswahl steht ein Gewebeband mit Unterseite aus Leder – ich kann mir an dieser Uhr auch ein passendes Lederband vorstellen. Auf Wunsch kann auch das realisiert werden. Die Bänder fertigt Kieser tatsächlich nicht selber – sie kommen aus einer kleinen Manufaktur und sind ebenfalls handgemacht. Sonderwünsche zu Beschichtungen der Uhr, Farben und Bändervariationen werden zudem von Kunden gerne geäußert und auch ebenso gerne umgesetzt.

Auch die Zeiger werden von Hand gefertigt und zeigen Sorgfalt in der Herstellung. © Thomas Gronenthal

Die Testuhr kostet – einmal so komplett konfiguriert – 6.540 Euro. Das ist oberflächlich betrachtet viel Geld, bezahlt bei einem anderen Hersteller aber nur eine Uhr von der Stange und kein Produkt, bei dem jede Uhr für den enormen Anspruch eines Menschen hinter der Marke steht.

Zudem ist jede Uhr ein Unikat, selbst wenn sich zwei einmal farblich ähnlich sehen, besteht immer noch ein Unterschied alleine durch den hohen Anteil an Handarbeit. Ich kenne keinen Hersteller, der einen vergleichbaren Aufwand alleine für Zifferblätter betreibt – geschweige denn für den Rest der Uhr. Und dank des Sellita-Werkes ist die Lebenszeit dieser Uhr praktisch nicht beschränkt – und dabei kommt ein weiterer Aspekt zum Tragen: Die Uhr trägt sich fantastisch. Das ultraleichte Gehäuse lässt ein Gesamtgewicht von um die 70 Gramm zu, was mit dem weichen Band am Arm zu einem kaum spürbaren Begleiter wird. Wer also nach einer wirklich individuellen, durchdachten und in Handarbeit hergestellter Uhr sucht, hat hier eine gefunden. Und in Anbetracht der eingebrachten Handarbeit und Fertigungstiefe ist der Preis eigentlich zu günstig….

Matthias Kieser in der Frankfurter Werkstatt von Kieser Design. © Morten Paulsen

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1 Kommentar

  1. Eine überaus interessante Uhr. Und bei dem Aufwand rund um Gehäuse, Zifferblatt und Zeiger darf auch ruhig ein verlässliches Uhrwerk an Bord sein, das nicht für jeden Service zurück zum Hersteller muss. Der Preis verschwimmt anbetrachts der Leistung.

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