Review & Test

Test: Die neue Tissot Swissmatic

Eine vollwertige „Swiss Made“-Uhr für weniger als 500 Euro klingt zunächst gut – nur noch wenige Hersteller decken diese Preiskategorie ab. Mit kräftiger Marketingpower bewirbt die Swatchgroup-Marke Tissot daher die neuen Swissmatic-Modelle. Die Gentleman- und die Everytime-Kollektion wurden erst diesen Herbst der Öffentlichkeit vorgestellt.

© Thomas Gronenthal

Getestet wird die Tissot Gentleman Swissmatic, Ref. T098.407.16.032.00, ausgestattet mit dem neuen Swissmatic-Kaliber ETA C15.111 im 44 Millimeter großen Edelstahlgehäuse. Das Werk basiert auf dem ersten vollautomatisch zusammengebauten Uhrwerk ETA C10.111 der Swatch Sistem 51. Statt des Plastikrotors wurde ein Metallrotor verbaut, die Brücken sind in Schwarz dekoriert, und gemäß Herstellerinformationen wurde die Zahnluft des Swatch-Automatikwerkes reduziert, um eine präzisere Einstellung der Zeiger zu ermöglichen. Die Gangreserve beträgt knapp drei Tage.

Das Hufnageldekor auf Lünette und Kronenschutz setzt edle Akzente. © Thomas Gronenthal

  • Gehäuse: 44 Millimeter Durchmesser, Edelstahl 316L
  • Höhe:  12,4 Millimeter
  • Gewicht: 84 Gramm
  • Glas: Saphirglas

Außen hui

Die Uhr selber kommt wertig daher, das Gehäuse ist abwechselnd poliert, mattiert und zwischen den Bandanstößen gesandstrahlt. Die Lünette und der Flankenschutz der Krone sind mit einem Hufnageldekor versehen. Die Verarbeitungsqualität ist tadellos. Auch das Zifferblatt ist aufwendig gestaltet, ein Sonnenschliff sorgt für schöne Lichtreflexe, während sich das Hufnageldekor fortsetzt. Aufgesetzte Ziffern oder Indexe sucht man jedoch vergebens, ebenso Leuchtmasse. Stunden- und Minutenzeiger sind hingegen mit Leuchtmasse gefüllt, um nächtens zumindest die Zeit lesen zu können. Das elegante Gehäuse weiß zu gefallen und vermittelt einen wertigen Eindruck, auch der Tragekomfort ist ausgezeichnet.

Wasserdicht bis 100 Meter Tiefe – und das neue Automatikwerk, basierend auf der Swatch Sistem51. © Thomas Gronenthal

Innen pfui

Das Uhrwerk ist, ebenso wie in der Konzernschwester Swatch Sistem 51, vollautomatisch zusammengebaut und eine geschlossene Baugruppe. Lediglich der Rotor ist mit einer Schraube befestigt, die Brücken sind indes mit der Platine fest verbunden. Bei einem Schaden kann also nur das Uhrwerk getauscht werden, eine Reparatur ist nicht möglich. Das gilt auch im Fall einer Gangungenauigkeit: Die Swissmatic-Kaliber werden bei der Produktion reguliert, eine weitere Regulierung ist nicht möglich. Für die Uhr bedeutet dies das Ende aller mechanischen Vorteile wie Regulierbarkeit und Wartbarkeit. Bei einem Schaden oder grober Abweichung wird es getauscht, alternativ landet die Uhr im Mülleimer. Es ist eine Wegwerfuhr „de Luxe“ – schade, das ein Grundprinzip von mechanischen Uhren in dieser Form über den Haufen geworfen wird.

Bis auf den Rotor kann das Werk nicht zerlegt werden – ein Wegwerf-Uhrwerk. © Thomas Gronenthal

Es folgt zu Teilen der Tissot-Tradition: Anfang der 1970er Jahre fand bereits ein Experiment mit einem wartungsfreien Uhrwerk statt. Das Kaliber 2250, auch als „Astrolon“ bekannt, bestand zu großen Teilen aus Kunststoff. Auch das aktuelle ETA-Werk der Tissot verfügt über eine Hemmung – also Anker und Ankerrad – aus Plastik. Auch weitere Teile bestehen aus Kunststoff. Was als Innovation gefeiert wird, ist nichts als die Optimierung eines Uhrwerks auf maschinelle Fertigung zur Maximierung der Gewinnspanne.

Formschöne Details außen. © Thomas Gronenthal

 

Die Gangwerte hingegen sind zunächst ordentlich – in keiner Lage beträgt die auf der elektronischen Zeitwaage gemessene Abweichung bei Vollaufzug mehr als acht Sekunden/24 Stunden. Die Amplitudenschwankungen sprechen allerdings Bände: Zwischen 291 und 219 Grad schwanken die Werte in liegender und hängender Lage. 72 Grad Unterschied sind eindeutig zu viel für ein Uhrwerk unter Vollaufzug. Das gilt auch für den Abfallfehler: Der Wert der Swissmatic beträgt zwischen 0,8 und 0,4 ms. Bei einer regulierbaren Uhr wäre das spielend zu beheben, bei der Tissot allerdings durch die fixe Spirallänge nicht. Am Arm getragen fallen diese schlechten Werte nicht auf, die beim Tragen gemessene Abweichung pendelt sich bei  zehn Sekunden Vorgang auf 24 Stunden ein. Allerdings stellt sich über die Gangreserve heraus, das die Werte beachtlich streuen: Nach etwas mehr als einem Tag läuft die Uhr liegend deutlich ins Minus, um später dann wieder aufzuholen. Bei Vollaufzug fühlt sich die Tissot Gentleman mit Swissmatic-Kaliber am wohlsten.

Was allerdings als deutlicher Mangel auffällt, ist die komplizierte Einstellung der Zeiger: Zum ziehen der Krone ist viel Kraft notwendig, und das mechanische Spiel bei der Zeigerstellung ist enorm. Dreht man die Krone vor- und zurück, springt der Sekundenzeiger zwischen zehn und 20 Sekunden wahllos vor- und zurück. Beim Eindrücken der Krone springt auch der Minutenzeiger häufig eine Minute vor oder zurück. Neben dem fehlenden Sekundenstopp zur präzisen Einstellung ein Nachteil, der die präzise Zeiteinstellung unnötig kompliziert macht. Offenbar wurde die Zahnluft nicht wie durch die Swatchgroup beschrieben deutlich reduziert.

Das Zifferblatt mit Sonnenschliff und Hufnagel-Guilloche. © Thomas Gronenthal

Achtung, Falle: Lederband

Die Uhr wird am Arm mit einem gut verarbeiteten Band aus Rindleder befestigt. Bereits nach wenigen Tagen zeigen sich erste Tragespuren, allerdings scheint der Vintage-Effekt gewollt. Ist das Band komplett verschlissen, steht der Uhrenträger vor einem Problem: Statt Federstegen nutzt Tissot Stahlstifte und eine Steckhülse, ein Austausch ist somit nicht einfach und vor allem nicht ohne Werkzeug zu bewerkstelligen. Zumal die Breite des Bandes am Gehäuse 21 Millimeter und an der formschönen und funktionalen Schließe mit Tissot-Gravur 19 Millimeter beträgt. Diese Maße sind kein Standard, sondern erfordern den Gang zu einem Tissot-Konzessionär, um ein originales Austauschband zu erwerben. Ein Band eines Fremdherstellers fällt aufgrund der seltenen Maße aus.

Watchthusiast-Fazit:

Innovation sollte eigentlich für Verbesserung stehen – hier steht es für einen Rückschritt. Ein Uhrwerk, das bei einem Schaden nicht repariert, sondern getauscht wird, widerspricht dem Charme und dem Vorteil einer mechanischen Uhr. Auch der Preis kann das nicht ändern, zumal die günstigen ETA-Automatikwerke sehr wohl eine reparierbare Uhr unter 500 Euro ermöglichen würden.

Dabei ist die sonstige Qualität der Tissot Gentleman Swissmatic gut, einzig das Uhrwerk sorgt für das Fazit, das diese Uhr ihr Geld nicht wert ist. Für 350 Euro bieten andere Hersteller wie Seiko eine mechanische Uhr, die bei einem Problem repariert werden kann und damit auch ein Leben über Jahrzehnte hat.

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9 Kommentare

  1. nach meinen Erfahrungen mit dem Kundendienst der swatch-group graut es mir bei dem Gedanken an ein Problem mit dieser Uhr!Danke für die Aufklärung!

  2. Tja, die originale Plastik-Swatch ist seit Jahrzehnten eine Wegwerfuhr. Und wird stets als Retter der Schweizer Uhrenindustrie gefeiert. Insofern macht diese Tissot da keinen Unterschied….

  3. Besten Dank für den gut gemachten und kritischen Artikel, dem wir uns in vollem Umfang anschließen! Mit diesem Produkt führt Tissot nicht nur den Charm, sondern auch den Wert einer mechanischen Uhr ad absurdum. Das ist hinausgeworfenes Geld. Ist die Sistem 51 von Swatch hinsichtlich des geforderten Investments noch ein Grenzfall, so wird mit der Swissmatic eine rote Linie überschritten. Einen derart überteuerten Wegwerfartikel auch noch mit dem Swiss Made Prädikat zu bewerben ist schon mehr als fragwürdig und hilft der Reputation der Schweizer Uhrenindustrie nicht unbedingt. Wie Sie sagen, finden sich bei SEIKO, aber auch bei anderen Herstellern, die Mechanikkaliber von Citizen verbauen, ausreichend Alternativen.

  4. Ich war kurz davor, bei der Uhr zuzuschlagen – wegen Swiss Made und Preis. Abgehalten hat mich das wirklich sehr billig aussehende Werk, das gedruckte Dekor ist schief und krumm, und die Optik in den Maschinenraum ist wie bei einer Uhr aus dem Kaugummiautomaten. Jetzt wird es eine Uhr mit einem ETA 2824 zu Weihnachten.

  5. Bei unserem Tissot-Händler hier – eine Kette – verfügt keiner der Verkäufer über das passende Fachwissen – katastrophal. Ich habe von einem Kauf abgesehen, nachdem ich diesen Test gelesen habe.

  6. Optisch ist die Uhr ja ein Hin-gucker. Aber ein Wegwerf Uhrwerk? Nicht reparabel? Warum bringt Tissot dieses Gehäuse nicht mit einem normalem Uhrwerk heraus ? Fragen über Fragen, in einer Wegwerf Konsumgesellschaft.

  7. Als die Sistem51 erschien, war mir klar das es nur noch eine Frage der Zeit ist, wann Tissot ein derartiges Werk verbaut. Jetzt ist es soweit!
    Schade, denn damit widerspricht sich Tissot selbst gegenüber seiner langen Tradition als Hersteller mechanischer Uhren, die bei guter Pflege und Wartung durchaus weitervererbt werden können.
    Wenn ich Lust auf eine Wegwerfuhr hätte, dann kauf ich mir gleich eine Sistem51 von Swatch. Und die ist sogar noch billiger.

  8. Man hat von Tissot selber gehört, dass sie einen mechanischen Automaten unter 500.00 haben wollten, was bei ihrer Kostenstruktur nicht einfach war. Aber sie wollten das zweifellos, weil sie dafür Marktchancen sahen. Das ist ihre Lösung. Ich rege mich darüber nicht auf. Man muss es wissen, um es zu vermeiden. Swatch verbindet mit den günstigen Automaten die Hoffnung, dass der Käufer der Swatch-Group später, überspitzt gesagt, eine Breguet abkauft. Ich kann das nachvollziehen, weil ich meine kleine Sammlung von Durchschnittsuhren auch aufrüsten will mit besseren Marken und Uhren. Vielleicht funktioniert es bei anderen bis zur Breguet!

    1. Absolut richtig,..“anfüttern“, wäre hier wohl der Begriff, der dem am Nächsten kommt. Der Swiss Made ‚Anfänger‘ ist doch schon beeindruckt, wenn sich da hinten drin ‚Etwas‘ dreht. Und wenn es aus der Schweiz ist, ‚dann kann es ja nicht schlecht sein‘. Wer, außer den echten Sammlern und den richtigen Enthusiasten, beschäftigt sich schon mit der Mechanik, seiner Funktion und deren Komponenten? Die meisten Leute gucken nur fragend, wenn man ihnen etwas von Hemmung, Abfall oder Amplitude erzählt. Und genau das ist die Zielgruppe. Leute die normalerweise Kaufhaus-Wegwerfuhren von Modeschmuckherstellern kaufen, die jetzt gerne mal eine etwas hochwertigere, nahmhafte, “richtige“ schweizer Uhr haben möchten, aber nicht gleich tausende von Euro ausgeben möchten. Diese Leute fragen nicht nach dem Uhrwerk, weil sie eh nichts damit anfangen können.Deshalb ist ihnen auch nicht bewusst, daß sie für unter 500euch schon etwas mit vernünftigem Werk bekommen könnten. Und wenn man sonst Uhren aus China von Thommy Hil….., Foss.. oder Tom Tail.. für um die 120€ kauft und damit immer zufrieden war, dann ist diese Tissot für solche Leute der Einstieg in die Schweizer Uhrenwelt auf die man stolz ist und sich gut fühlt, weil man sich von der Masse der Kaufhausuhrenkäufer abhebt. Man bekommt die Uhr für 350€, was für den Durchschnittsuhrenkonsumenten schon ein ‚utopischer Preis‘ für eine Uhr ist, wenn man doch auch schon eine Uhr, die zuverlässig die Zeit anzeigt, für 14,95€ an der Aldi Kasse bekommt.
      Und durch das hochwertigere Äussere vermittelt sie einem Uhrenlaien das Gefühl, er habe sich jetzt mal was ‚Richtiges‘ gegönnt. Die Uhr wird, vorausgesetzt, sie hat nicht schon einen Herstellungsfehler, wahrscheinlich auch ohne Wartung 10-15 Jahre laufen. Wie, ist egal, aber das reicht, um in dieser Zeit den Probanden evtl. mit dem Uhrenvirus zu infizieren. Vielleicht hat er innerhalb dieser Zeit das Bedürfnis entwickelt, nach noch höherem zu streben. Denn mit jeder Ausgabe in der nächsthöheren Preisklasse, schwindet die Hemmung, für die nächste Uhr noch mehr auszugeben.

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